(8 Plakate, Din A1; Öffentlicher Raum, Hamburg) von Anna Linder
Wandflächen
als Werbeträger, Litfaßsäulen bis auf jeden Zentimeter mit den
kommenden Veranstaltungen, Konzerten, Lesungen, Messen und Ausstellungen
gefüllt – das kulturelle Leben einer Stadt zeigt sich nicht zuletzt
auch an der Vielfalt der Plakate, die entweder auf sehr teuren
Werbeflächen angebracht werden oder illegal auf Häusermauern und
Baustellenabsperrungen Platz finden. Es ist ein wildes Durcheinander,
ein Überlappen von Namen, Datum, Uhrzeiten, Orten. Die Präsenz der
Plakate prägt das Stadtbild, doch in letzter Zeit haben leere Flächen
für einen Bruch gesorgt. Wegen fehlenden Veranstaltungen kam es in den
vergangenen Monaten vermehrt zu Leerstellen auf den ansonsten übervollen
Werbeflächen, wodurch diese – ihrer unmittelbaren Funktion beraubt –
die Auswirkungen der Pandemie auf das kulturelle Leben verdeutlichen und
wie Mahnmale in der städtischen Landschaft stehen.
Der Künstler
Axel Loytved (*1982) nahm die Veränderung der physischen Begegnung mit
den Werbeflächen als Anlass zur Entwicklung einer 8-teiligen
Plakatserie, die diese Leerstellen zu Orten künstlerischer
Auseinandersetzung werden lässt. „Blind Spots - Dazwischen“ besteht aus
insgesamt acht unscharf abfotografierten Plakatmotiven. Der Fokus liegt
dabei wortwörtlich nicht mehr auf dem eigentlichen Inhalt der Plakate,
sondern auf dem ästhetischen Verhältnis zwischen Form und Farbe. Aus der
Unschärfe entsteht eine abstrakte Reproduktion mit malerischer
Qualität,die sich von der starren Wirklichkeitsdarstellung löst. Damit
ist nicht nur die Position der Plakate auf den Werbeflächen ein
Dazwischen, sondern auch ihre Technik und Ästhetik, die sich stark von
den Gestaltungsprinzipien der Werbeindustrie unterscheidet. Durch den
Bruch mit gewohnten Darstellungsformen erzeugt die Plakatserie eine
Irritation, die wegen ihre Andersartigkeit Aufmerksamkeit auf sich
zieht. Allein die Unschärfe der Plakatmotive reicht aus, um die
routinierte beiläufige Wahrnehmung abrupt zu unterbrechen und auf den
zweidimensionalen Flächen eine neue Räumlichkeit zu erzeugen. Im
Vergleich zu den übrigen Veranstaltungsplakaten scheinen die unscharfen
Motive einem vermeintlichen Ladefehler geschuldet, der sich mit etwas
Geduld und einer besseren Internetverbindung beheben lassen könnte. Doch
die schemenhaften Motive der Drucke haben natürlich nichts mit
Verbindungsproblemen zu tun, noch handelt es sich um einen
versehentlichen Druckfehler. Bei „Blind Spots - Dazwischen“ geht es
vielmehr um die künstlerische Sichtbarmachung von aktuellen
Veränderungen, es ist sozusagen ein klares Kommentar in unscharfer Form
zur momentanen Ungewissheit. Die Serie ist als Reaktion auf die aktuelle
Leere und den vermeintlichen kulturellen Stillstand entstanden, beweist
durch ihre Existenz aber die Wandelbarkeit künstlerischen Handelns und
ihre Bedeutung für die Öffentlichkeit. Wie bei einem Palimpsest kommt es
zu einem Vorgang des Wiederbeschreibens vormals gefüllter Flächen, der
die Hartnäckigkeit künstlerischer Interventionen im öffentlichen Raum
eindrucksvoll demonstriert.
(Unterstützt durch den Hilfsfonds »Kunst kennt keinen Shutdown« der Hamburgischen Kulturstiftung.)