Texte: 2020

Blind Spots - Dazwischen, 2020

(8 Plakate, Din A1; Öffentlicher Raum, Hamburg)
von Anna Linder

Wandflächen als Werbeträger, Litfaßsäulen bis auf jeden Zentimeter mit den kommenden Veranstaltungen, Konzerten, Lesungen, Messen und Ausstellungen gefüllt – das kulturelle Leben einer Stadt zeigt sich nicht zuletzt auch an der Vielfalt der Plakate, die entweder auf sehr teuren Werbeflächen angebracht werden oder illegal auf Häusermauern und Baustellenabsperrungen Platz finden. Es ist ein wildes Durcheinander, ein Überlappen von Namen, Datum, Uhrzeiten, Orten. Die Präsenz der Plakate prägt das Stadtbild, doch in letzter Zeit haben leere Flächen für einen Bruch gesorgt. Wegen fehlenden Veranstaltungen kam es in den vergangenen Monaten vermehrt zu Leerstellen auf den ansonsten übervollen Werbeflächen, wodurch diese – ihrer unmittelbaren Funktion beraubt – die Auswirkungen der Pandemie auf das kulturelle Leben verdeutlichen und wie Mahnmale in der städtischen Landschaft stehen.

Der Künstler Axel Loytved (*1982) nahm die Veränderung der physischen Begegnung mit den Werbeflächen als Anlass zur Entwicklung einer 8-teiligen Plakatserie, die diese Leerstellen zu Orten künstlerischer Auseinandersetzung werden lässt. „Blind Spots - Dazwischen“ besteht aus insgesamt acht unscharf abfotografierten Plakatmotiven. Der Fokus liegt dabei wortwörtlich nicht mehr auf dem eigentlichen Inhalt der Plakate, sondern auf dem ästhetischen Verhältnis zwischen Form und Farbe. Aus der Unschärfe entsteht eine abstrakte Reproduktion mit malerischer Qualität,die sich von der starren Wirklichkeitsdarstellung löst. Damit ist nicht nur die Position der Plakate auf den Werbeflächen ein Dazwischen, sondern auch ihre Technik und Ästhetik, die sich stark von den Gestaltungsprinzipien der Werbeindustrie unterscheidet. Durch den Bruch mit gewohnten Darstellungsformen erzeugt die Plakatserie eine Irritation, die wegen ihre Andersartigkeit Aufmerksamkeit auf sich zieht. Allein die Unschärfe der Plakatmotive reicht aus, um die routinierte beiläufige Wahrnehmung abrupt zu unterbrechen und auf den zweidimensionalen Flächen eine neue Räumlichkeit zu erzeugen. Im Vergleich zu den übrigen Veranstaltungsplakaten scheinen die unscharfen Motive einem vermeintlichen Ladefehler geschuldet, der sich mit etwas Geduld und einer besseren Internetverbindung beheben lassen könnte. Doch die schemenhaften Motive der Drucke haben natürlich nichts mit Verbindungsproblemen zu tun, noch handelt es sich um einen versehentlichen Druckfehler. Bei „Blind Spots - Dazwischen“ geht es vielmehr um die künstlerische Sichtbarmachung von aktuellen Veränderungen, es ist sozusagen ein klares Kommentar in unscharfer Form zur momentanen Ungewissheit. Die Serie ist als Reaktion auf die aktuelle Leere und den vermeintlichen kulturellen Stillstand entstanden, beweist durch ihre Existenz aber die Wandelbarkeit künstlerischen Handelns und ihre Bedeutung für die Öffentlichkeit. Wie bei einem Palimpsest kommt es zu einem Vorgang des Wiederbeschreibens vormals gefüllter Flächen, der die Hartnäckigkeit künstlerischer Interventionen im öffentlichen Raum eindrucksvoll demonstriert.

(Unterstützt durch den Hilfsfonds »Kunst kennt keinen Shutdown« der Hamburgischen Kulturstiftung.)